Miquel Roca: „In der Bevölkerung unter 35 Jahren ist der Selbstmord die häufigste Todesursache.“

Interview mit Miquel Roca Bennasar, Psychiater, Professor und Forscher an der Universität der Balearen

Miquel Roca Bennasar ist Psychiater, Professor für Psychiatrie an der Fakultät für Psychologie der Universität der Balearen, Koordinator des Bereichs Neurowissenschaften am Institut für Gesundheitswissenschaften (IUNICS) und leitender Forscher der Gruppe „Psychische Störungen von besonderer Bedeutung in der medizinischen Primärversorgung”.

In seiner beruflichen Laufbahn hat er als Autor oder Herausgeber zehn Bücher über Psychopathologie und Psychopharmakologie, sowie mehr als 85 Artikel in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. In diesem Interview spricht Miquel Roca über die wichtigsten Gesundheitsprobleme, die psychische Erkrankungen verursachen. Und er erklärt, welche Veränderungen notwendig sind, damit es zu einem echten Durchbruch in der Psychiatrie kommen kann.

MiquelRoca

– Was sind zur Zeit Ihre beruflichen Tätigkeiten, Herr Miquel Roca?

– Ich teile meine Zeit zwischen Lehre, Forschung und Behandlung auf. Spanische und internationale Forschungsprojekte.

– In Ihrer langen Karriere kamen Sie oft mit dem Bufete Buades in Berührung. Besonders mit dem Direktor Joan Buades ist es zu einer engen Verbindung gekommen. An welche gemeinsamen Erlebnisse erinnern Sie sich besonders gerne?

– Glücklicherweise habe ich in meinem Leben noch nie Rechtsstreitigkeiten gehabt, die die Dienste der Kanzlei erforderlich gemacht hätten (lacht), aber im Fußballclub Real Mallorca und auf einigen anderen sportlichen Freizeitaktivitäten sind wir zusammengetroffen. Später teilten wir auch ganz private Dinge wie Kunst und Gastronomie, zusammen mit den Mitarbeitern der Kanzlei.

– Welche psychischen Störungen betreffen im Kontext der Wirtschaftskrise die spanische Bevölkerung besonders stark?

– Dieselben wie vor und nach der Krise, nur dass sie sich während der Krise verschlimmern. Vor allem Depressionen und Angstzustände, aber auch Drogenmissbrauch. Dies sind die großen Probleme. Am häufigsten sind Depressionen und Angst, die oft in der Allgemeinbevölkerung auftreten. Diese Störungen werden meistens nicht als solche erkannt. Die Leute denken immer noch, dass sie stigmatisiert werden, weshalb sie diese Krankheiten verbergen, geheim halten oder verschleiern. Dabei zeigen alle vorliegenden Studien, dass diese Störungen Auswirkungen großen Ausmaßes haben, sowohl individuell, familiär, gesellschaftlich, als auch wirtschaftlich. Jetzt erkennen wir zum Beispiel, welche Folgen die Depression im täglichen Leben hat. Dies schließt die Lern- und Arbeitsfähigkeit mit ein, was bedeutet, dass sie nicht nur individuelles, sondern auch soziales, wirtschaftliches und kollektives Leiden mit sich bringt.

– Gibt es auf Mallorca Besonderheiten in Bezug auf diese Beschwerden, oder sind seine Bürger im Allgemeinen von denselben Krankheiten betroffen wie in anderen Teilen Spaniens

"Wir haben festgestellt, dass es während der Krise bei den Sprechstunden und Behandlungen der häufigsten psychischen Störungen im Vergleich zu vor der Krise einen Zuwachs von 7 bis 10 % gegeben hat"

– Zum Glück gibt es keine Unterschiede. Die Prävalenz psychischer Krankheiten auf den Balearen ist vergleichbar mit denen anderer europäischer Länder. In der Tat gibt es einige Legenden, wie zum Beispiel, dass die Selbstmordrate auf der Insel Menorca sehr hoch ist. Wir haben das bereits erforscht, analysiert und veröffentlicht, und gezeigt, dass das nicht wahr ist; es ist ein Mythos, aber die Leute sagen immer noch, dass die Tramuntana von Menorca ihre Bewohner in den Selbstmord treibt. Und das ist nicht richtig, denn die mit der Parapsychologie zusammenhängende, hohe Selbstmordrate, die die maximale Folge psychischer Störungen darstellt, ist das schlimmste Problem, dem sich das öffentliche Gesundheitssystem stellen muss. Denken Sie nur an die Bevölkerung unter 35 Jahren: Die häufigste Todesursache ist heutzutage der Selbstmord. Früher waren es die Verkehrsunfälle, aber diese haben sich stark reduziert. Jetzt ist in der Bevölkerung von unter 35 Jahren der Suizid die häufigste Todesursache. Dabei sind die Zahlen in der Autonomen Region der Balearen ähnlich wie im Rest Spaniens. Auf der anderen Seite, wenn wir die Situation vor und während der Wirtschaftskrise vergleichen, können wir die Auswirkungen psychischer Störungen in der medizinischen Primärversorgung messen. Wir haben festgestellt, dass es während der Krise bei den Sprechstunden und Behandlungen der häufigsten psychischen Störungen im Vergleich zu vor der Krise einen Zuwachs von 7 bis 10 % gegeben hat. Jetzt werden wir eine ähnliche Studie machen, um drei Momente zu vergleichen. Wir haben gesehen, dass es während der Krise den größten Zuwachs in der medizinischen Primärversorgung gab, denn die Auswirkungen ökonomischer Krisen konzentrieren sich auf diese Sprechstunden. Ich glaube, die Anlaufstellen müssen grundlegend verändert werden, um in diesen Situationen die Folgen aufzufangen. Die einzige nachgewiesene Vorbeugung gegen diese psychischen Erkrankungen ist die körperliche Bewegung, eine gesunde Ernährung und kein Drogenkonsum, obwohl das in der jungen Bevölkerung sehr schwer zu schaffen ist.

– Sind die öffentlichen Mittel ausreichend, um diese psychischen Krankheiten zu behandeln?

– Alle vorliegenden Studien sagen Nein, und zwar aus vielen Gründen: weil die Behandlung psychischer Krankheiten keine Technologie benötigt. Es gibt keine großen Operationssäle – die Psychiater arbeiten seit zwei Jahrhunderten mit den gleichen Instrumenten. Es geht um persönliches Zuhören und Zeit. Das kostet nicht viel, aber die psychischen Krankheiten sind diejenigen mit den größten individuellen, sozialen und kollektiven Folgen. Wenn eine Person wegen einer Beschwerde ein Krankenhaus aufsucht, zum Beispiel mit Herzschmerzen, wird er bestimmt einer Reihe ergänzender medizinischer Tests unterzogen, wie Blutuntersuchungen, bildgebende Untersuchungen u.s.w. Aber in der Psychiatrie müssen Sie eine sofortige Antwort geben, und ohne diese Ressourcen. Bei der Diagnose arbeiten wir mit viel Subjektivität und wenig Objektivität. In unserem Fall wurde die psychiatrische Versorgung aus den psychiatrischen Anstalten herausgenommen, und in die allgemeinen Krankenhäuser integriert. Außerdem versuchen wir bei Patienten, die einen stationären Behandlungsaufenthalt benötigen, diesen so kurz wie möglich zu halten, damit sie so früh wie möglich zu ihren Familien und in die Gesellschaft zurückkehren. Aber die Gemeinschaft und die Familien sind in wirklicher Krise. Es gibt manchmal stationär behandelte Patienten, die, wenn Sie sie entlassen, hier keine Familie haben, oder nur viele Kilometer weit entfernt, oder gar keine. Das will nicht heißen, dass wir zum alten Modell zurückgehen sollen, aber es gibt viele Probleme, weil die Familien sich früher besser um einen Kranken kümmern konnten. Im heutigen Familienmodell leben die einzelnen Familienmitglieder verstreut in verschiedenen Teilen der Welt. Das kann zum Beispiel bei einem Patienten mit einer bipolaren Störung oder Schizophrenie sehr kompliziert sein.

– Sie haben Bücher und Artikel auf internationalem Niveau veröffentlicht. Welche Rolle wird die Psychiatrie in den nächsten Jahren spielen?

– Ich glaube, sie wird sich als ein medizinisches Fachgebiet definieren, in welchem es viel Forschung gibt, die aber auch auf die Praxis übertragbar sein wird. Das bedeutet, dass die Untersuchungen, die sich über psychische Krankheiten ansammeln, schnell in Vorteile für die Patienten umgewandelt werden. Das ist, denke ich, die Herausforderung, vor der die Psychiatrie steht. Derzeit sind wir immer noch in einem System von Studien verankert, die uns die Technologien nicht erlaubt haben, die nur in der Forschung Verwendung finden, und es fehlt uns der Schritt, diese Forschungsergebnisse in der Praxis mit den Patienten anzuwenden. Es ist sehr komplex, aber in der Pharmakogenetik gibt es Fortschritte, in der personalisierten Medizin, wo klinische Studien und epidemiologische Daten mit genetischen und biologischen Daten in Zusammenhang gebracht werden. Dies kann dann zur Anwendung bei Patienten führen, die zur Verbesserung ihres Zustands führen. In diesem Sinne steht der Psychiatrie eine ausreichend weit gefächerte und sehr interessante Arbeit bevor, mit der sie sich selbst verbessern kann.

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